Mein Weg aus der Sozialen Phobie

Erfahrungsbericht: Soziale Phobie

“Eine meiner größten Lebensaufgaben, die sich wie ein roter Faden durch mein Leben zu ziehen scheint, ist die soziale Phobie. Gefühlt begleitet sie mich schon mein Leben lang, hat sich anfangs still und leise angeschlichen und sich immer stärker und präsenter breit gemacht.

Im Laufe meines Lebens mit all seinen Erfahrungen die ich machte, erschien mir das soziale Zusammensein mit anderen Menschen zunehmend verwirrend, anstrengend und überfordernd. Irgendwann wurde es so angsteinflößend für mich, dass ich soziale Situationen immer mehr gemieden und mich komplett in mein Schneckenhaus zurückgezogen habe. Gefühle der Einsamkeit, Hilflosigkeit und des kompletten Versagens wechselten sich ab mit der Traurigkeit, das Leben zu verpassen und mit ihm seine Möglichkeiten und schönen Momente. Der Wunsch nach sozialen Kontakten und am Leben teilhaben / dazugehören zu wollen war mindesten genauso groß, wie die ständige Angst davor.

Obwohl ich immer wieder versuchte, aus dieser Angstspirale auszubrechen, indem ich mich außerhalb meiner Komfortzone neuen Herausforderungen stellte, viele Informationen über die Angststörung zusammentrug und auch in Therapien an mir und meinen Themen arbeitete, stellte sich nie das Gefühl von Leichtigkeit ein. Die Angst in mir war dennoch mein stetiger Begleiter.

Irgendwann wurden mir folgenden Dinge klar:

Leider gibt es keinen anderen Weg, keine Abkürzung, keine Wunderpille oder Wunderstrategie, auch wenn ich mir das wirklich oft gewünscht hätte.

Mein erster Weg führte mich zu meiner Hausärztin, die sich sehr viel Zeit für meine Problematik nahm und mitfühlend und ermunternd mit mir weitere Schritte besprach:

Da es seine Zeit dauert, bis man einen geeigneten Platz in einer Klinik für Psychosomatik bekommt, begann ich bereits in der Wartezeit mit einer speziellen Angsttherapie.

Angsttherapie:

Bei meiner Recherche im Internet musste ich feststellen, dass spezielle angsttherapeutische Angebote im Rahmen einer Psychotherapie, die von der Kasse übernommen wird, eher selten zu finden sind. Dabei bin ich auf eine auf Ängste spezialisierte Praxis aufmerksam geworden und war von ihrem Angebot und der ausführlichen Beschreibung auf ihrer Homepage sofort sehr angetan. Schon die Kontaktaufnahme war “soziale Phobie”-freundlich, da ich einfach nur ein Kontaktformular ausfüllen musste und zeitnah einen Termin bekam. Bei einem Vorgespräch lernte ich die Theapeutin kennen und ich merkte schnell den Unterschied zwischen einer Gesprächstherapie und einer speziellen Angsttherapie: Hier liegt der Fokus darauf, schnell wieder ins selbständige Handeln zu kommen.

Aufbau einer Angsttherapie:

Theorie:

In den ersten Schritten bekam ich das nötige Hintergrundwissen über die Entstehung und Aufrechterhaltung von Ängsten. Ich stellte mich meinen Ängsten in speziellen Fragebögen und entlarvte meine eigenen Gedankengänge und Glaubenssätze.

Ein wichtiger Schritt ist dabei eine Art Angsthierarchie zu erstellen: Ich listete alle Situationen auf, die mir Angst machten und die ich in Zukunft auch wieder ohne Angst bewältigen können möchte. Im Anschluss teilte ich diese ein in leichte, mittelstarke und starke Ängste.

Praxis:

Im sogenannten Expositionstraining nahmen wir nun eine Situation aus dem mittleren Bereich heraus, um diese zu üben. Diese haben wir im Vorfeld miteinander besprochen und dann gemeinsam in Tat umgesetzt. Spezielle Fragestellungen zum Ausfüllen vor der Situation halfen mir, meine Gedanken und Gefühle besser zu verstehen. Ein ausführliches Nach Gespräch führte dazu, die Situation neu zu bewerten und als ungefährlich einzustufen.

Das Gute daran ist: Alle Situationen die von der Angststärke gefühlt unter dieser lagen konnte ich plötzlich ebenfalls ohne große Angst meistern. So “arbeitete” ich Schritt für Schritt Punkte auf meiner Liste ab, allerdings dann in Eigenregie zu Hause und wir besprachen Ziele und Erfahrungen im Anschluss in der Therapiesitzung. Relativ schnell stellten sich erste Erfolgserlebnisse ein, und ich konnte erleben, dass die Ängste kleiner wurden.

Klinikaufenthalt:

In einem 6-wöchiger Klinikaufenthalt in einer Klinik für Psychosomatik, konnte ich nochmal tiefer in die Angstbewältigung eintauchen. Auch wenn diese Zeit in der Klinik eine meiner größten Herausforderungen war, sehr intensiv, teilweise sehr anstrengend, voller Höhen und Tiefen, so bin ich doch sehr froh und dankbar für diese wertvollen Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich aus dieser Zeit mitnehmen konnte.

Eine wichtige Erkenntnis, die man sich vielleicht von Anfang an bewusst machen sollte ist, dass so ein Klinikaufenthalt für einen Menschen mit einer sozialen Phobie von Anfang an ein einziges, großes Expositionstraining ist. Vor allem die ersten Tage sind eine riesige Herausforderung, weil man von einem Tag auf den Anderen ins kalte Wasser geschmissen wird und sich plötzlich mit ganz vielen sozialen Situationen konfrontiert sieht.

All dies sind für jeden erst mal Herausforderungen, die im Normalfall außerhalb der Komfortzone liegen. Für jemanden mit sozialen Ängsten kann dies schnell zu einer Überforderung führen, ohne dass er sich bewusst ist, dass dies bereits die ersten Expositionsübungen sind, denen er sich zwangsläufig stellt.

Die Erfahrung die ich allerdings damit gemacht habe ist: Wenn man muss, kann man über sich selbst herauswachsen und die Herausforderungen besser meistern, als man denkt. Innerhalb kürzester Zeit ist man mit den Abläufen im Haus vertraut, findet sich räumlich zurecht und hat ersten Anschluss gefunden. Und bei Problemen hat man genügend Anlaufstellen, die einem mit guten Impulsen und einem offenen Ohr weiterhelfen.

Während des gesamten Aufenthaltes hat man seinen festen Bezugstherapeuten, der zusammen mit der Co-Therapie die erste Anlaufstelle ist. Gemeinsam mit dem Therapeuten legt man seine Behandlungsziele fest und bespricht den individuellen Behandlungsplan. Einzeltherapie und Gruppentherapie sind in der Regel je 2 mal die Woche für jeden Patienten automatisch vorgesehen. Aus dem restlichen Angebot kann man dann individuell wählen. Bei mir in der Klinik gab es unter anderem folgende Möglichkeiten:

Für mich am lehrreichsten war in der Tat das plötzliche Zusammenleben mit ganz vielen Menschen an einem Ort. Rückzug ins Schneckenhaus war nur bedingt möglich und ich merkte auch, wie sehr ich den Kontakt zu Anderen brauche, vor allem, wenn ich nicht in meinem gewohnten, vertrauten Umfeld bin. Es war spannend für mich zu sehen, dass Smalltalk tatsächlich auch Spaß machen kann, dass ich eigentlich sehr schnell Anschluss gefunden habe und teilweise enge Verbindungen über die Klinikzeit hinaus entstanden sind.

Der Austausch mit den Anderen, das Zusammenwachsen in den Gruppen, wo man doch sehr viel persönliches übereinander erfährt, und die Erkenntnis, dass jeder mit Herausforderungen zu kämpfen hat, dass man mit seinen Problemen, Sorgen und Ängsten oft gar nicht allein ist und dass jeder seine Prozesse mit Höhen und Tiefen hat, halfen dabei, die Sichtweise zu verändern und mit den eigenen Prozessen besser umgehen zu können.

Ich hatte eine wunderbare Bezugstherapeutin, die mich liebevoll auf diesem Weg unterstützte, und mir auch immer wieder aufzeigte, Pausen zu machen und stolz auf mich zu sein. An den Erlebnis Therapien gefällt mir besonders, dass man dazu angeregt wird, sich den kreativen Prozessen wieder zu öffnen, mit Leichtigkeit und Freude und ohne Perfektionismus- Anspruch und Angst vor Bewertung. So bekommt man Zugang zu oft längst verschütteten Talenten und Fähigkeiten und entdeckt seine Freude wieder für das Zeichnen, die Liebe zur Musik oder findet einen neuen Zugang zu seinem Körper. Neue Wege, seine Gefühle kreativ auszudrücken.

Das reichhaltige Angebot aus Bewegungs- und Entspannungs­therapie kann man nutzen, um neue Sportarten oder Entspannungsübungen auszuprobieren und herauszufinden, was einem gut tut.

Vom soziale Kompetenztraining hab ich mir naheliegender­weise am meisten versprochen. Es wurde sehr viel theoretisches Wissen über gewaltfreie Kommunikation vermittelt, das sich aber im Alltag dann doch schwer umsetzen lässt. Vereinzelt gab es dann auch Rollenspiele, generell war mir der Kurs aber doch zu theoretisch und zu wenig alltagstauglich. Dafür hat mir das Skills Training aufgezeigt, wie wichtig es ist, immer wieder seinen Stresspegel zu überprüfen und welche Möglichkeiten es gibt, den Körper zu entspannen und besser mit Stress umzugehen. Dort gab es sehr viele praktische, alltagstaugliche Beispiel­möglichkeiten zum individuellen Ausprobieren.

Am Ende meines Aufenthaltes stellte ich erstaunt fest, dass ich fast alle Punkte auf meiner Angsthierarchie-Liste als erledigt abhaken konnte. Ich beendete diese besondere Zeit voller Stolz und mit dem Gefühl, nun jeder Herausforderung gewachsen zu sein.

Dennoch: Das ganze dann auch zu Hause umzusetzen, aus den fest vorgegeben Strukturen der Klinik die für sich richtigen zu übernehme und vor allem aus dem Üben nicht wieder herauszukommen, ohne sich zu überfordern, ist gar nicht so einfach.

Darum ist es wichtig und empfehlenswert, im Anschluss an den Klinikaufenthalt mit der ambulanten Therapie weiterzumachen.

Es ist wichtig, die Komfortzone Stück für Stück zu erweitern und Situationen die man nun ohne Angst bewältigen kann weiterhin regelmäßig zu üben, um nicht wieder in alte Gewohnheiten zurückzufallen. Die Therapiestunden helfen mir dabei, Situationen zu reflektieren, zu merken, wenn sich alte Gewohnheiten und Verhaltens­muster wieder einschleichen und mir neue Ziele zu setzen. Auch ist es wichtig für mich zu verstehen und zu unterscheiden, welche Ängste völlig “realistisch” sind und mich vor Überforderung warnen wollen, und wo es unkonstruktive Ängste aus Gewohnheit der sozialen Phobie sind, die mich lähmen.

Meine Reise ist noch lange nicht zu Ende und vermutlich werden die Ängste mein Begleiter bleiben. Was sich allerdings Stück für Stück ändert ist die Sichtweise und der Umgang damit. Zu verstehen, dass manche Ängste gut und schützend für mich sind, ich aber nicht vor Situationen davonlaufen und flüchten muss, die ich eigentlich gerne tun würde, führen zu einem anderen Umgang mit den Ängsten. In ein selbstbestimmtes Leben mit mehr Leichtigkeit und Freude.”

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin.